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Ein Gespräch mit Chiara Smirne
von Veronica Riva
V. R. – Deine Bilder drehen sich um wiederkehrende Themen: Kulturlandschaften und menschliche Anwesenheit, auch wenn diese manchmal latent ist. Eine Konstante, die deine Werke ausstrahlen, ist die ausgeprägte traumhafte Atmosphäre, eine Zeitverschiebung und ein Eintauchen in Orte realistischer Fantasie: Wie definierst du diese Atmosphäre? In Anbetracht der Tatsache, dass das von dir geschaffene Ambiente oft von Blendwerk und „unnützen“ Figuren entleert ist, wie erfolgt die Wahl, dass in deine „Szenerien“ einige Elemente anstatt anderer eingebaut werden?
C. S. – Ich verwende wenige, sehr scharf umrissene und definierte Details. Es gibt in meinen Landschaften niemals eine Überfüllung, denn ich möchte eine surreale, wenig realistische Atmosphäre erschaffen, mit wenigen Störelementen. Von den wenigen, die vorhanden sind, hat jedes seine eigene Funktion, um etwas heraufzubeschwören, keines ist ein Zufallsprodukt, niemals werden sie hineingestellt, um einen leeren Raum zu füllen, sondern sie stellen eine besondere Atmosphäre her. Realistische Zierelemente einzufügen, interessiert mich nicht und brauche ich nicht. Indem ich figurativ bleibe, versuche ich, mich von der Wirklichkeit zu abstrahieren. Was ich male, ist eine intimere, und mehr geistige als physische und greifbare Realität. Es handelt sich um eine traumhafte Realität. Ich betrachte die reellen Orte aus der Distanz und nehme die Elemente heraus, die überflüssig sind, also, auch wenn ich von einer erkennbaren Landschaft ausgehe, neige ich immer dazu, sie zu säubern und ich stelle einen Ausschnitt dar, der zu jeglicher Stadt passen könnte. Auch Lichter und architektonische Details werden auf ein Minimum reduziert, um mich mehr auf die Leere konzentrieren zu können und die entfremdende Empfindung zu Tage zu bringen. Es sind traumhafte Bilder, wo einige wenige essentielle Dinge von Bedeutung sind, nämlich die, die meine Aufmerksamkeit erwecken und die ich den reellen Bildern entlocke, um sie in meinen Traumszenerien aufleben zu lassen, weiterhin betont durch die Tatsache, dass es fast nur nächtliche Landschaften oder Landschaften mit besonderer Lichteinstrahlung sind, surreale Landschaften, so dass man nicht gut verstehen kann, ob es sich um Morgendämmerung oder Sonnenuntergang handelt. Oder keines von beiden. Etwas Widernatürliches. Also, um es kurz zu sagen, habe ich niemals eine pralle Sonne mit blauem Himmel gemalt. Eine realistische Darstellung hat mich noch niemals interessiert.
V. R. – Das menschliche Element ist stets vorhanden, auch wenn es nicht immer eindeutig ist oder manchmal sogar drohend erscheint. Ist es wie in deinen vorhergehenden Werken stets mit dem Thema des mangelnden Anpassungsvermögens und der Ruhelosigkeit verbunden? Die Menschlichkeit wird in deinen Bildern manchmal eher mit übertriebenen Ausmaßen als kaum wahrnehmbar dargestellt. Welche Bedeutung hat diese Wahl?
C. S. –Unbehagen und Entfremdung kennzeichnen meine Landschaften, die Orte der Einsamkeit sind. Die menschliche Anwesenheit steht immer im Zusammenhang mit dem mangelnden Anpassungsvermögen des Menschen, das ist der Brennpunkt meiner Recherche: In den Orten, die ich erschaffe, versuche ich immer anhand der Verwendung von essentiellen „Szenerien“ die Leere, die sich rund um die Personen ausbreitet, zu unterstreichen – die Darstellung davon interessiert mich und ich erreiche das durch Einfügen der menschlichen Figur, die manchmal drohend und beängstigend ist, manchmal fast zart verschwommen, doch immer präsent. Wie bei dem Bild, auf dem ein Mensch, der inzwischen weit entfernt ist von dem, der betrachtet, nur von hinten zu sehen ist und im Herzen der Nacht einem Horizont entgegenwandert, der von Geschäftsbeleuchtungen erhellt ist – was ein Trost, ein flüchtiges Ziel für den Einsamen symbolisiert.
Auch wenn manchmal keine Personen zu sehen sind, verspürt man zum Beispiel, dass die menschliche Figur anwesend ist, man sieht hingegen einige Gebrauchsgegenstände, die eigens für den Menschen kreiert wurden: etwa ein Auto mit eingeschalteten Scheinwerfern, was vermuten lässt, dass im Inneren jemand auf dem Fahrersitz sitzt. Während ich dort, wo ich ein Hilfsmittel verwende und in das Werk supergroße Gesichter einfüge, einen Gemütszustand ausdrücken möchte, der mit jenem Ambiente in Zusammenhang steht. Ich möchte also eine Beziehung zum Ort herstellen. So ist es bei Clinic. Hier ist die Kulisse eine Anstalt für Geisteskranke und das Gesicht, das in voller Größe aus einem Fenster herausschaut, habe ich einer medizinischen Zeitschrift entnommen – ein stereotypes Modellgesicht, das imstande war, universelle Geisteszustände, etwa Leid und Ruhelosigkeit, auszudrücken.
V. R. – Ein weiteres wesentliches Element, das deine Bilder charakterisiert, ist die gut ausgewählte Farbzusammenstellung, die dazu beiträgt – zusammen mit dem Licht und den Themen – die traumhaften Stimmungen zu schaffen.
Du überlässt nichts dem Zufall, du malst nicht „aus dem Stegreif“, das Auftragen jeder Farbe ist recherchiert und wohlüberlegt, um die gewünschte emotionale Wirkung wiederzugeben. Die Farben sind gegenüber den fotografischen Anregungen, von denen du ausgehst, vollständig verzerrt. Veränderst du also die Wirklichkeit auch in der Farbgebung?
C. S. – Meine Herausforderung besteht gerade darin, die Emotionen auf die Leinwand auch durch Farben zu bringen, so dass sie Gefühle von Angst, Zeitverschiebung und Unruhe ausstrahlen. Das möchte ich wiedergeben. Was ich erreichen will, ist eine Verstärkung der Realität durch die Farben. Ich gebe dir ein Beispiel: In einer Nachtszene geschieht die Wahl, dass ich das reine Schwarz für den Himmel verwende, tatsächlich deshalb, weil es mir gefällt, die in der reellen Welt vorhandenen Farbabstufungen sehr zu verstärken, ohne jedoch die Farbpalette allzu brutal erscheinen zu lassen, darauf achte ich sehr. Ich versuche, sie anhand von reinen Farben nicht zu stark wiederzugeben, es sei denn, ich möchte die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt der Szenerie richten, in diesem Fall greife ich dann zu einem reinen Farbton, wie zum Beispiel wenn ich Gelb für die Lichter der Straßenlaternen, der Fenster oder Schaufenster verwende. Doch im Allgemeinen neige ich immer dazu, viele Mischungen vorzunehmen.
V. R. – Du gehst immer von einer fotografischen Basis für den Aufbau deiner Bilder aus. Nur selten, wie etwa bei dem oben erwähnten Beispiel für das Gesicht bei dem Clinic-Bild, benutzt du Fotos, die du in Zeitschriften oder Zeitungen gefunden hast, doch normalerweise knipst du die Fotos der Gegenstände selber, die dann auf der Leinwand Form annehmen. Also, die Basis, von der du ausgehst, ist schon an für sich ein ganz persönlicher Blickpunkt von dir. Wie erfolgt der Übergang von der Fotoaufnahme zum Pinsel? Was verbleibt in deinen Bildern von deinen Fotos? Diese entfernen sich von der Realität, auch weil du ein weiteres Hilfsmittel verwendest: die Säuberung der Linien und ihre Geometrisierung. Erzähl ein wenig davon…
C. S. – Die fotografische Basis ist nur eine Anregung, ich reproduziere niemals ein Foto so wie es ist. Ich versuche, dem Bild eine geometrische Ordnung zu geben, um die Perspektiven und den Fluchtpunkt herauszustellen. Manchmal füge ich Elemente ein, die auf dem Foto nicht vorhanden sind, und manchmal nehme ich sie weg. Die Fotografie ist der Ausgangspunkt der Recherche, der Beginn einer Reise, die sich in Richtung fantastischer Orte ständig verändert. Manchmal sind es Kompositionen von mehreren Fotos, regelrechte Collagen, die mir zum „Aufbau“ des Bildes dienen. Aber auch, wenn ich mehrere Fotos miteinander kombiniere, wird das Bild doch anders und unterscheidet sich. Die Szenarien sind immer Fotos entnommen, die ich persönlich aufnehme. Die Vorbereitung eines Werks ist oft lang: Die Ideen gären mit der Zeit, sie setzen sich nieder und reifen dann, so entspringt das Werk. Oft, sogar bevor das Foto entsteht, habe ich bereits eine ideale Landschaft im Kopf. Dann gehe ich auf die Suche nach dem richtigen Ambiente, das ich verewigen möchte und beginne anschließend, mit dem Pinsel zu arbeiten. Ich suche Gemeinplätze aus, denn es ist das Alltägliche, das mich inspiriert und das ich dann traumhaft gestalten möchte. Das ist für mich wesentlich, denn ich erkenne mich im traumhaften Aspekt wieder. Deshalb verschärfe ich einige Details aufs Äußerste, um meinen Bildern eine geometrische Gestaltung zu verleihen – auch wenn ich diese absolut figurativ ausarbeite. Sie enthalten aus dem Ambiente, in die sie dank der Geometrisierung der Formen eingefügt sind, abstrakte Elemente, die nicht als Elemente der Realität wiederzuerkennen sind, weil ich sie absichtlich auf ihre essentiellen Linien zurückgeführt habe, um sie zu verwandeln und so ein visuelles Unbehagen, eine Nicht-Definition des Ortes zu schaffen. Das Hilfsmittel der Einfügung von geometrischen Elementen in figurative Bilder dient mir, um die Entfernung von der Realität herauszustellen; gleichzeitig lasse ich zu, dass andere Elemente deutlich zu erkennen sind. Das geschieht hingegen, um eine Verbindung mit der realen Welt zu schaffen. In letzter Zeit versuche ich, das geometrische Abstrakte einiger Details mit dem Figurativen zu vereinigen. Ich finde diese Art von Säuberung der Linien interessant: Sie werden auf diese Weise so klar, so scharf und so kalt und entlarven Gefühle von Unbehagen und Entfremdung.
V.R. – Was möchtest du, dass die Beobachter aus deinen Werken aufgreifen?
C. S. – Was du in meinen Bildern siehst, ist die „externe“ Realität; was aber wirklich zählt, ist noch nicht einmal auf der Leinwand dargestellt, es geht darüber hinaus, denn es gefällt mir, die Fantasie des Beobachters anzuregen. Bevor ich Dinge male, die bereits alles aussagen und mehr als die Darstellung, die zum Selbstzweck wird, ziehe ich es vor, Unschlüssigkeiten, Fragen und Überlegungen zu erwecken. Doch auch der Beobachter muss sich wieder ins Spiel bringen, muss sein Bestes geben. Ich versuche, Emotionen zu inspirieren.
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